Meine geniale Freundin von Elena Ferrante
Es ist eines dieser Bücher, das in jeder Buchhandlung, jeder Bibliothek, sogar jedem grösseren Kiosk ausgestellt war. Eines dieser Bücher, das ich mir schon aus Prinzip nicht kaufen möchte. Wieso sollte ich ein Buch lesen, das sich wie ein penetranter Gestank überall festgesessen hat? Ein Buch, das so sehr nach Aufmerksamkeit zu heischen scheint, wo es doch noch so viele andere ungelesene Geschichten gibt. Solche, die sich nicht ständig in mein Blickfeld stellen.
Dass dann auch noch die Autorin und die Hauptperson des Buches denselben Namen wie ich tragen, verstärkte meine Lust Meine geniale Freundin zu lesen nicht wirklich. Erst als dann einige Zeit später der grosse Hype etwas abgeklungen war und bereits die drei weiteren Teile der neapolitanischen Saga von Elena Ferrante erschienen sind, wurde ich eines besseren belehrt.
Nie hätte ich erwartet, dass mich diese Bücher in einen solchen Bann ziehen würden, dass ich sie jetzt sogar zum zweiten Mal lese. Eine Bekannte empfahl mir, unbedingt die Bücher zu lesen und gab mir erst einmal den ersten Band. Schnell musste ich mir jedoch die weiteren Bände besorgen. Naja - besser spät als gar keine Party.
Denn das war es für mich, ein Fest, diese Bücher zu verschlingen. Und auf dieser Party tanzten alle Gefühle durcheinander. Ich war wütend über die alltägliche Gewalt der Männer im neapolitanischen Ort Rione, wo die Geschichte spielt. Ich war tief traurig über die Schwierigkeiten gute Bildung zu erhalten, mit denen sich Elena und ihre Freundin Lila herumschlagen müssen. Ich war amüsiert über die Naivität, mit der sie sich die beiden Mädchen in ihre Abenteuer stürzen.
Bis in die Nacht hinein sass ich in meinem Bett, um zu wissen, wie es mit den Freundinnen Elena und Lila weitergeht. Die Geschehnisse überschlagen sich, sodass man vom einen ins nächste stürzt und das Buch, nur schwer zuklappen kann.
In meinem Kopf tat sich die präzise gezeichnete Welt des Rione auf: Hitze, enge Gassen, zwischen den Häusern gespannte Wäscheleinen, Armut, Gewalt. Dass alles sah ich genau vor mir. Elena Ferrantes Sprache ist so scharf, so deutlich und ehrlich, dass sie mich traf - direkt ins Herz.
Ich schloss Elena, Lila und teilweise auch ihre vielen Freunde in mein Herz. Und musste allen in meinem Umfeld, ob sie es hören wollten oder nicht, von meiner Faszination für diese Bücher erzählen. Inzwischen habe ich mindestens zehn Leute zum Lesen von Meine geniale Freundin (und den weiteren Teilen) verleitet.
Meine geniale Freundin ist eine Geschichte über Freundschaften, dem Privileg zu lernen, verstrickte Familienbeziehungen und allgegenwärtige Gewalt in den Gassen des Riones. Die Freundschaft Lila und Elena gleicht einem Wetteifern darum, die Bessere zu sein. Trotzdem bleibt sie voller Liebe und Vertrautheit.
Ich erkannte mich wieder in den Gefühl der beiden Mädchen. Zum einen wünscht man seiner Freundin nichts, als das Beste. Zum anderen will man genau sie nicht mit dem Sieg dessen sehen, was man sich so sehnlichst gewünscht hat.
Ada, Marisa, Enzo, Marcello, Carmela, Nino, Melina, Antonio, Alfonso, Stefano, Elisa… Der Schwall italienischer Namen kann einen schon überfordern. Da ist das Personenverzeichnis auf den ersten Seiten des Buches sehr hilfreich.
Namen scheinen wichtig zu sein - in der neapolitanischen Saga und für das Leben der Autorin. Denn wer sich hinter dem Pseudonym Elena Ferrante versteckt, ist bis heute ungeklärt und macht für mich einen Teil der Faszination aus. Wer ist diese Frau – ja ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich um eine Frau handelt - ,die so mit Worten umgehen kann?
Wer die vier Bücher ebenso rasant liest wie ich, kann sich über weitere Geschichten Ferrantes freuen, wie beispielsweise Das lügenhafte Leben der Erwachsenen, ein Roman der letztes Jahr erschienen ist.
Bitte verzeiht mir, wenn ich noch viele weitere ihrer Bücher auf Eselsohren bespreche. Das «Ferrante-Fieber» hat mich gepackt und ich hoffe, euch wird es ebenso ergehen.
Tschäse & Bussi
Elena
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