«Der graue Peter» von Matthias Zschokke, ein Beitrag im Rahmen des Schweizer Buchpreis
Meine kleine Schwester liebte den Schwarzen Peter. In einem solchen Ausmass, dass gewisse Spielsets ersetzt werden mussten: Zu viel Zeit hatte die Spielkarte in ihrem Mund verbracht, die Liebe meiner Schwester hatte ihn ein Loch und eingerissene Kartenränder gekostet.
Der schwarze Peter ist eigentlich die Karte, die man nicht ziehen möchte, die Karte der Verliererin. Der Schwarze Peter bedeutet Unglück und Einsamkeit. So auch Matthias Zschokkes grauer Peter.
Peter lebt in Berlin, arbeitet in einer Verwaltung und gehört dort zu den älteren Mitarbeitenden. Er geht immer ins gleiche Café, um Zeitung zu lesen und seine schmerzenden Füsse auszuruhen. Er sei einer von «diesen unendlich vielen grauen Peter», kein besonderer Mann.
Als die Polizei vor seinem Schreibtisch steht und ihn über den Tod seines Sohnes informiert, weiss Peter nicht zu reagieren. Im fehlt «gewissermassen ein Empfindungschromosom», von seinen Gefühlen spricht und denkt er nicht. Wenn er erzählt, dann so, «wie er dachte, dass sie die ihren erfahren und wiedergeben würden, in der Hoffnung, von ihnen verstanden zu werden und in ihnen Gleichgesinnte zu finden. So fing er an, in zwei Sätzen von einem Brötchen zu berichten, das altbacken war und ihm schlecht geschmeckt hatte, dann in zwei Sätzen davon, wie fein und durchscheinend blau die Haut hinter den Ohren seiner Frau war. Denn was weiss einer schon am Ende, ausser dass er auch tot sein möchte.»
Nach einer Konferenz im französischen Nancy wird Peter von einer verzweifelten Mutter gebeten, ihren zehnjährigen Jungen, Zéphyr, zu betreuen. Denn der Zug fährt unerwartet nicht durchgehend bis Basel, wo ein Onkel das Kind erwartet und Zéphyr kann nicht alleine umsteigen. Aus der Zugfahrt wird ein Zwischenhalt in Mulhouse, inklusive Fischsuche im winterlichen Fluss, Besuch eines 5D-Kinos und einer seltsamen Hotelnacht.
In sprunghaften Passagen, mit vielen Abschweifungen und Einschüben, wird die Geschichte des grauen Peters erzählt. Zschokke lässt Lücken für Peters Gefühle: Er baut das Gerüst der Handlung, es liegt aber an den Leser*innen die Zwischenräume mit den jeweiligen Empfindungen und Emotionen zu befüllen.
Auch wenn ich meine Mühe mit Büchern von und mit älteren Männern habe*, finde ich Zschokkes Ansatz spannend. Keine Gefühle, nicht einmal ansatzweise, nur reines Geschehen. Nicht immer fallen diese Lücken gleich auf: Ich ertappe mich dabei, wie ich die Emotionen und Empfindungen «mitlese». Nur bei besonders seltsamen Situationen bin ich verwirrt – da merke ich, dass etwas fehlt. Welche Gefühle erwarte ich in welcher Situation und von wem?, fragt mich das Buch.
Geschichten über solche «grauen Peter», über den scheinbar belanglosen Alltag und den Ausbruch daraus, muss man lesen wollen. Gleiches gilt aber auch für Kriminalromane, dicke Fantasywälzer oder Anthologien. Wer sich aber auf einen solchen «Alltagsroman» einlässt, wird mit dem «grauen Peter» eine gut geschriebene und etwas seltsame Geschichte finden.
Ich persönlich mag seltsame Geschichten. Möglicherweise nicht in dem Ausmass, dass ich mir ein Buch in den Mund stecken würde. Aber doch genug, dass ich den «grauen Peter» vielleicht irgendwann wieder aus meinem Regal ziehen werde.
Tschäse & Bussi
Sasha
*Ich habe grundsätzlich nichts gegen alte Männer. Nur erzählen sie oft davon, wie schwer es ist, ihre Gefühle zu empfinden und auszudrücken. Das sind durchaus ernstzunehmende Probleme, die auch literarisch interessant verarbeitet sein können. Allerdings ist für mich dieses wiederkehrende Thema etwas ermüdend.
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