“Breakfast at Tiffany’s” (1955) von Truman Capote und “Lolita” (1958) von Vladimir Nabokov
Zugegeben, ein provokanter Titel - für die meiste Literaturkenner*innen zumindest. Eigentlich wollte ich einen schillernden Beitrag nur über “Breakfast at Tiffany’s” schreiben. Knapp 100 Seiten, Genre: Kurzroman. Ein süsser Hauch Zigarrenduft, Aussicht auf die New Yorker Skyline und Champagner als Nachgeschmack. Aber: Zu oft habe ich bei der Lektüre einen Blick von Lolita erhascht. Anfänglich unsicher, ob ich mir dies nur eingebildet hatte, sah ich sie im weiteren Verlauf der Geschichte auf jeder Seite.
In “Breakfast at Tiffany’s” erzählt ein namenloser Autor rückblickend über die Bekanntschaft mit seiner charmanten Nachbarin Holly Golightly, einem 19-jährigen Partygirl in New York. Holly ist auf der Suche nach einem reichen Mann und verdient sich ihren Lebensunterhalt mit “money for the powder room” - womit genau wird offen gelassen. Holly wurde früh zum Waisenkind und heiratete mit 14 Jahren einen Tierarzt in Texas - den sie jedoch für ihre Abenteuerlust und ihre Freiheit in New York verliess. Holly sieht sich als wilden Vogel. Sie handelt so wie es ihr gefällt und lässt sich von nichts und niemandem etwas sagen. Ihr Leben besteht hauptsächlich aus Partys und Rendez-vous, sowie den bezahlten wöchentlichen Besuchen des Sträflings Sally Tomato. Diese Gefängnisbesuche sind jedoch nicht unproblematisch und bringen eine Anklage sowie einen Gefängnisaufenthalt mit sich.
Wo kommt nun Lolita ins Spiel?
Nun, Holly verdient ihr Geld mit ihrer äusseren Erscheinung, ihrer fröhlichen naiven Art und: ihrer Jugend. Keine Frauenfigur, die ich als Idol sehe oder als solches inszenieren würde - wie dies die Verfilmung tut. Ihre Freiheit, die sie in New York hat, wäre nicht möglich ohne ihre attraktive Hülle, ihren Körper. Wobei wir bei Vladimir Nabokov’s Lolita wären.
Während wir in “Breakfast at Tiffany’s” nur wenige Einblicke in das Innenleben der Figuren erhalten, fühlen wir bei Nabokovs “Lolita” immer mit Humbert mit, der seine Stieftochter Lolita begehrt und sexuell missbraucht. Damit sein Verhalten nicht auffällt, reist er mit Lolita quer durch Amerika und gibt sie als seine Tochter aus. Dabei liest er ihr jeden Wunsch von den Lippen ab - am Anfang zumindest. Das Ganze ist zwar unangenehm aber auch sehr spannend, denn Humbert ist sich bewusst, dass er falsch handelt. Einen grossen Teil der Schuld schiebt er von sich und stellt sich selber als Opfer dar, von Lolitas Launen und von seinen Gelüsten. Er sieht sich als Opfer der Gesellschaft, die sein Problem nicht verstehen kann und ihn für sein Verhalten verurteilt. Seine Anziehung zu jungen Mädchen beschreibt er als eine Art Naturgesetz, welchem er sich nicht entziehen kann.
Humbert betrachtet Lolita nicht als eigenständigen Menschen, sondern als eine hübsche Hülle, die ihn erregt. Ihre Freiheit, in Form von Geld und schönen Kleidern, erhält Lolita durch seine Befriedigung. Nabokov stellt Lolita nicht als Opfer dar, sondern als ein begehrenswertes Idol mit viel Charme - ähnlich wie Holly in “Breakfast at Tiffany’s” beschrieben wird. Von beiden Frauen kommt kein Widerstand sondern eine Einwilligung, von Holly zur Heirat mit 14 Jahren und von Lolita zum Beischlaf mit Humbert im Alter von 12. So schreiben es Capote und Nabokov. Die Männer in diesen Geschichten haben keine physische Gewalt angewendet. Das mussten sie gar nicht.
Eine kranke Sache würde man meinen. Beide Werke gehören aber mit einer Selbstverständlichkeit zu den Klassikern unserer Zeit. Schliesslich sehen wir nie in das Innenleben von Holly und Lolita, ihre Stimmen hören wir fast nicht. Gefährlich. Denn Frauen sind nicht die besten Idole, wenn sie nur aufgrund ihrer Körper und ihrer charmanten, jugendlichen Naivität begehrt werden. Ihre Freiheit durch rein äusserliche Qualitäten erhalten. Eine Freiheit, die aus vielen kleinen abhängigen Momenten besteht.
Empfehlen würde ich dennoch beide Bücher, denn sowohl “Lolita” als auch “Breakfast at Tiffany’s” bieten einige sehr spannende Denkanstösse und sind schnell verschlungen. Allerdings sollte man eine grosse Portion Vorsicht und ein kritisches Auge walten lassen. Genauso, wenn man die Verfilmungen von “Lolita” und “Breakfast at Tiffany’s” schaut, die beide mittlerweile auch als Klassiker gelten.
Natürlich von Männern verfilmt.
Tschäse & Bussi
Sasha
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