«Das Paradies ist weiblich» (2022), herausgegeben von Tanja Raich
It’s a man’s world. Ein oft zitierter Satz - wie auch andere populäre Zitate, ist er etwas gar überspitzt: Meiner Erfahrung nach haben auch Frauen in unserer Gesellschaft gewisse Vorteile und längst nicht alle Männer profitieren von unserem System (Von anderen Geschlechtern und Sexualitäten ganz zu schweigen). Geht man tiefer auf diese Überlegungen ein, kommt früher oder später die Frage, ob die Welt der Frauen eine bessere, gerechtere wäre. Würden wir sagen «It’s a woman’s world», wären wir an einem schöneren Ort?
Gleich mehrere (mögliche) Antworten auf diese Frage bietet «Das Paradies ist weiblich – 20 Einladungen in eine Welt, in der Frauen das Sagen haben», herausgegeben von Tanja Raich. In 20 kurzen Texten ergründen Autor*innen und Ethnolog*innen, Journalist*innen, Historiker*innen, Politikwissenschaftler*innen und Philosoph*innen in Geschichten, Essays, Briefform, einem Theaterstück und einem Comic die Frage nach der weiblichen Utopie.
a.) Wäre die Welt ein besserer Ort, wenn Frauen an der Macht wären? b.) In Matriarchaten herrschen Frauen. Also ergibt c.) Wäre die Welt ein besserer Ort, wenn wir im Matriarchat lebten? Dabei ist die Frage doch: Herrschen in Matriarchaten wirklich die Frauen?
So erzählt ein Text über Clownfische und ihr Paarverhalten, ein anderer vom Verlegen eines Buches, ein dritter taucht in die Geschichte der Matriarchate ein. Auch theoretisch-philosophische Texte und Analysen unserer heutigen Gesellschaft finden sich nicht zu knapp. Meine Skepsis, dass ich vor allem radikale, systemhassende, sehr idealistische Texte lesen würde, bewies sich als unbegründet. Nicht, dass ich der grösste Fan unseres Systems wäre, aber ich bezweifle, dass ein radikaler Umsturz in ein System mit Frauen an der Macht allein gute Veränderungen bringt. Eine solche Fantasie ist schnell gesagt oder niedergeschrieben – nur leider ist sie oft etwas gar realitätsfremd. Nicht aber in diesem Buch, vorsichtig werden alle Seiten eines weiblichen Paradieses beleuchtet: Wo es heute schon zum Vorschein kommt und wie das Matriarchat früher ausgelebt wurde. Auch die Gefahren, die eine weiblich dominierte Gesellschaftsform mit sich bringen könnte, werden angedacht.
Utopien sind momentan möglicherweise genau das richtige. Zwischen Krieg und Corona, dem Klimawandel, Rassismus, Sexismus, korrupten Politiker*innen, Nationalismus und all den anderen anstrengenden Themen, könnte eine schöne Zukunftsaussicht ein wenig Hoffnung geben und uns motivieren. Statt ewig zurück in die so scheinbar düsteren Zeiten zu blicken, sollten wir uns gute Beispiele vorhalten, nach denen wir streben wollen. Das Paradies, wo wir es heute schon sehen und haben, hochhalten und schützen. Seien es die starken Frauenfreundschaften oder auch der Fakt, dass man sich als Frau heute so kleiden darf wie man will.*
Persönlich hätte ich mir noch etwas tiefergehende Überlegungen und Recherchen gewünscht, noch etwas komplexere Theorien und längere Ausführungen. Dafür bleibt die Länge überschaubar und bietet eine leichte und abwechslungsreiche Lektüre mit einer guten Portion Witz und dennoch genug Tiefgang. «Das Paradies ist weiblich» ist wohl bloss ein Anfang. Ein Ausgangspunkt weiterer Überlegungen, um die Welt ein wenig gerechter zu gestalten. Wahrscheinlich auch ein wenig weiblicher.
Tschäse & Bussi
Sasha
*Ganz vorbei ist der Kampf da natürlich nicht: Je nach Kürze des Rocks oder der Grösse eines Ausschnitts wird man dennoch verurteilt. Ein geschminkter Mann mit Kleid und tiefem Ausschnitt bietet sogar noch mehr Angriffsfläche. Aber we'll get there.
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