«Exciting Times» (2020) von Naoise Dolan
Wenn man einen Gymnasiasten fragt, was er oder sie nach der Matur machen will, lautet die Antwort meist «Zwischenjahr». Übersetzt heisst das: Etwas arbeiten, so weit Reisen wie es geht (in meinem Fall Südamerika) und wenn irgendwie möglich, sich selbst zu finden - um nachher mit Sicherheit zu wissen, was man studieren will und was man mit sich und seinem Leben anfangen möchte.
In Naoise Dolans Debut «Exciting Times» geht es genau darum: Um diese seltsame Lebensphase, in der man so verzweifelt nach sich selbst sucht. Möglicherweise, weil man, im Vergleich zu den «richtigen» Erwachsenen, nur aus sehr wenigen Erfahrungen seine Identität zusammendenken kann. Es fehlen wichtige Komponenten, die einen Menschen, wie wir ihn kennen, ausmachen: Ausbildung, Job, Familie, ein fixer Wohnort. Man ist also auf der Suche nach Erfahrungen, die man noch nicht gemacht hat und setzt dabei eine besondere Brille auf: Man betrachtet die Welt mit einer Bereitschaft, überall Geschichten zu sehen, man ist gierig nach neuen Eindrücken.
Neugierig ist auch die 22-jährige Ava. Von Dublin nach Hong Kong geflogen, unterrichtet sie an einer Privatschule Englisch. Sie verdient weitaus mehr als die einheimische Bevölkerung, kann aufgrund der hohen Mietpreise dennoch kaum für die Kosten eines schäbigen Airbnb-Zimmers aufkommen. Julian ist fast dreissig Jahre alt, ein britischer Banker in Hong Kong und Mieter eines grossen Appartements in einem angesehenen Stadtteil. Er teilt seine Freizeit und sein Geld gerne mit Ava – wie selbstverständlich übernimmt er immer jede Rechnung. Was Ava in Hong Kong will, von ihrem Leben will, ist ihr ebenso ein Rätsel, wie ihre Erwartungen an die Beziehung mit Julian. Als Ava in Julians Gästezimmer einzieht, verstärkt sich die seltsame Beziehungsdynamik zunehmend.
Naoise Dolan schreibt über Liebe und Zuneigung, darüber was sie kostet und kosten soll. Aus Avas Perspektive geschrieben, überzeugt das Buch von der ersten Seite an: Ava ist witzig und frech, klug, philosophisch und manchmal auch etwas naiv – von allem genau genug, dass sie als Figur authentisch wirkt.
«I asked where he’d lived before Hong Kong, and he said, he’d read history at Oxford. People who’d gone to Oxford would tell you so even when it wasn’t the question. Then like ‘everyone’ he’d gone to the City. ‘Which city?’ I said. Julian assessed whether women made jokes, decided we did, and laughed»
«Exciting Times» lässt sich schnell verschlingen, nur wäre das schade: Man würde den vielen Andeutungen, Metaphern und philosophischen Fragen nicht genug Zeit und Aufmerksamkeit widmen. Dolan lässt einem die Wahl, sie zwingt uns ihre schlauen Gedanken nicht auf, platziert sie aber dennoch in Reichweite. Mit ihren detailreichen Beschreibungen führt sie uns durch Hong Kong, eine wunderbare, mir komplett unbekannte Kulisse. So schwingen im ganzen Roman auch die Themen Rassismus, (Neo)kolonialismus und britische Vorherrschaft mit.
Naoise Dolan stammt, wie auch Sally Rooney, aus Irland. Zwischen den beiden Autor*innen lassen sich gewisse Parallelen aufstellen: Beide sind etwa gleich alt, in Dublin studiert, mit grossartigen, sehr gut rezipierten Debuts. Ihre Hauptfiguren sind jung, weiblich und auf der Suche nach sich selbst. Zu Sally Rooneys «Normal People» gibt es bereits eine Verfilmung in Form einer Serie und auch «Exciting Times» werden wir bald auf dem Bildschirm erleben können. Wer «Normal People» und «Conversations with friends» mochte, wird sicherlich auch «Exciting Times» gerne lesen – meiner Meinung nach ist Dolans Roman sogar noch etwas besser. Etwas schlauer, etwas geistreicher, etwas prickelnder. Aus Avas Perspektive lässt sich noch etwas mehr lernen, scheint mir. Besonders, wenn einen die Macht der Gewohnheit einholt und man in den Dingen um sich herum keine Geschichten mehr sehen kann. Wenn man denkt, dass man sich selbst gefunden hat und aufhört nach mehr Erlebnissen und Erfahrungen zu streben.
Tschäse & Bussi
Sasha
Opmerkingen