«The Midnight Library» von Matt Haig (2020)
Wie hätte mein Leben ausgesehen, wenn ich mich anders entschieden hätte? Was wäre aus mir geworden, wenn ich statt des Gymnasiums eine Lehre als Buchhändlerin gemacht hätte?
Wenn man so über das Leben sinniert, stellen sich schnell Fragen über das «was wäre wenn». Kennt ihr das auch? Ich frage mich dann, ob es schon die kleinen Dinge sind, die den Unterschied machen. Was, wenn ich heute morgen, statt meiner Lieblingstasse, eine andere für den Kaffee genutzt hätte? Oder sind es nur die grossen Weggabelungen, die schliesslich einen Einfluss auf den Verlauf unseres Lebens haben? Oder ist es vielleicht ganz egal?
Wegen solcher Gedanken habe ich mir ausgemalt, dass zig tausende Paralleluniversen existieren, in denen wir andere Leben leben, als in diesem. Ich habe mir vorgestellt, dass diese andere Versionen wie Bücher irgendwo einsortiert sind und dass wir vielleicht irgendwann die Chance haben, sie zu lesen.
Darüber sollte man ein Buch schreiben, dachte ich mir. Matt Haig hat sich wohl das Gleiche oder Ähnliches gedacht, als er die Idee zu The Midnight Library hatte. Er hat mir also meine Buch-Idee vorweggenommen (kein Scherz, die Idee hatte ich wirklich). Als ich den Buchrücken gelesen hatte, wollte ich natürlich wissen, wie Haigs Welt in dieser Geschichte aussieht.
Wie hat Matt Haig wohl die Idee einer Bibliothek mit potenziellen anderen Lebensverläufen umgesetzt? Was für eine Geschichte ist entstanden? Ähnelt sie der, die ich im Kopf hatte?
Auf letzteres ist die Antwort einfach – natürlich ist Haigs Erzählung eine ganz andere, als die in meinem Kopf, auch wenn sie demselben Kern entspringt. Das Buch handelt von Nora, die so unzufrieden ist, dass sie ihr Leben auf Erden beenden möchte.
Statt einfach zu sterben, wacht Nora um Punkt Mitternacht in einer Bibliothek auf. Dort ist niemand ausser einer Bibliothekarin, die keine ganz Unbekannte für die Protagonistin zu sein scheint. Nora bekommt die Chance, andere Versionen ihres Lebens auszuprobieren – es scheint unendlich viele zu geben. Dabei stellt sie sich die Frage: Was wäre die beste Version meines Lebens?
Mit Nora durch die verschiedenen möglichen Leben zu reisen macht Spass, ist teilweise aber etwas anstrengend. Gefallen haben mir die komplett unterschiedlichen Versionen, weil Nora sich für vieles interessiert, wie Musik oder Surfen.
Etwas zäh fand ich, dass sie jeweils keine Ahnung von dem Leben hat, in dem sie sich gerade befindet. So kommt es zu Situationen, die es nicht gegeben hätte, wäre dieser Lebensverlauf schon vorher «ihrer» gewesen – aber das ist wohl Geschmackssache.
Matt Haig thematisiert auch in anderen seiner Bücher Depression und Angststörungen. Mit The Midnight Library schafft er es, ein schweres Thema auf leichte, teilweise lustige und gleichzeitig berührende Weise zu beleuchten.
Das Buch erinnert daran, dass wir immer wieder die Chance haben, unser Leben zu beeinflussen. Es erinnerte mich daran, dass ich dem Lauf des Lebens nicht komplett ausgeliefert bin. Das ist ein Fakt, den ich mir gar nicht oft genug vergegenwärtigen kann, um mich fähig und stark zu fühlen. Für mich ist nichts schlimmer, als das Gefühl, ausgeliefert zu sein.
The Midnight Library machte mir auch das wieder bewusst: Sich für etwas zu entscheiden, bedeutet manchmal, dass man sich gegen etwas anderes entscheiden muss. Gerade wenn man so viele Interessen hat wie Nora - oder Ich, kann das schmerzhaft sein.
Ich werde wohl nie wisse, ob ich eine gute Buchhändlerin geworden wäre oder wie mein Tag mit einer anderen Tassenwahl ausgesehen hätte. Aber vielleicht gibt es Paralleluniversen oder eine Mitternachtsbibliothek, in denen genau das passiert ist. Der Gedanke daran fasziniert mich bis heute.
Tschäse und Bussi
Elena
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