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Elena Willi

Wir schulden nichts. Niemandem.

Women don’t owe you pretty – Florence Given



Mal wieder stehe ich im Buchladen. Um mir die Zeit am Bahnhof zu vertreiben, streife ich gerne noch fünf Minuten durch die dortige Buchhandlung und erfreue mich am Anblick voller Büchergestelle. Da sticht mir dieses Buch ins Auge: ein dicker Einband, grosse comic-artige rote Buchstaben. Dieses Buch sieht so hübsch aus, denke ich. Im nächsten Moment begreife ich die Bedeutung des Titels: Wir schulden niemandem unsere Schönheit.


Zugegeben, ich habe mir Women don’t owe you pretty von Florence Given vor allem gekauft, weil ich es unglaublich hübsch fand. Schon beim Durchblättern sah ich mir die wunderbaren Illustrationen an und war begeistert. Ist es in Ordnung, sich ein solches Buch aus diesen «oberflächlichen» Gründen kaufen?


Wie auch immer die moralisch korrekte Antwort lauten mag – ich habe mir das Buch gekauft und war keine Sekunde vom Inhalt enttäuscht.


Die Hälfte dieses Buches habe ich einer Freundin in einer Berghütte vorgelesen. Da das Fernstudium dieses Jahr von überall her möglich war, flüchteten wir in ihre Ferienwohnung in den Walliser Bergen. Beide sassen wir auf dem Sofa eingekuschelt in Wolldecken und tranken unseren nach Zimt duftenden Tee, während ich Kapitel für Kapitel aus Women don’t owe you pretty vorlas. Das gehört für mich zu den Lieblingserinnerungen dieser Woche. Aber es war nicht nur das Vorlesen, es war das Anschliessende diskutieren, der Austausch.


Schon beim Vorlesen unterbrachen wir immer wieder, sprachen über unsere eigenen Erlebnisse und empörten uns gemeinsam. Wie Florence Given empörten wir uns über die Selbstverständlichkeit mit der wir uns Tag für Tag vor den Spiegel stellen und uns «schön» machen. Doch für wen machen wir uns «schön»? Für unsere Freunde und Familie? Um dem «Schönheitsideal» zu entsprechen, dass uns von Plakaten und aus Werbungen zulächelt? Oder für uns selbst?


Wir empörten uns, darüber dass wir vieles einfach stumm hinnehmen und uns nicht trauen darüber zu sprechen - aus der Angst, die Einzige zu sein.


Zusammen gelang es uns in diesem kleinen Schweizer Bergdorf, keine BH’s zu tragen, keine Schminke aufzulegen, kein durchdachtes Outfit anzuziehen. Wir mussten niemandem gefallen und hatten auch nicht das Bedürfnis das zu tun.


Seither trage ich, wenn überhaupt, nur noch BH’s, die ich angenehm finde. Schminken gehörte schon zuvor nicht zu meinen täglichen Ritualen, aber wenn ich es tue, dann aus Spass und Freude am Ausgehen. Denn es geht nie darum, sich nicht schön machen zu dürfen, sondern um die Gründe es zu tun und um das vorgefertigte Bild der «Schönheit».


Florence Given berichtet auch von toxischen Beziehungen, die alle Arten von Beziehungen betreffen können. Sie schreibt davon, wie wichtig es ist uns selbst zu lieben, statt uns von der Liebe anderer abhängig zu machen.


Wieder empörten wir uns über uns selbst. Darüber, dass wir uns so oft schlecht behandeln liessen von zumeist männlichen Gesprächspartnern, denen wir gerne gefallen möchten und unser Interesse zeigen. Sie antworten zwar gerne und ausgiebig auf unsere Fragen, stellen selber aber keine einzige zu unserem Erleben und unseren Meinungen. «Wir sind mindestens so interessant wie sie», sagten wir uns.


Die britische Autorin betreibt in ihrem Buch kein «Men-Shaming», auch ich will das in diesem Beitrag nicht machen. Aber, dass beinahe jede meiner Kolleginnen schon mehrmals von solchen Erlebnissen berichtet hat, verstärkt meinen Eindruck: Es scheinen keine Einzelfälle, sondern die Regel zu sein. (Von der es selbstverständlich Ausnahmen gibt.)


Wie kommt es dazu, dass diese Selbstverständlichkeiten so tief in uns verankert sind, dass wir es nur selten wagen, sie zu hinterfragen? Sie sind von Gesellschaften geformt, also können Gesellschaften sie umformen.


Ich denke, Bücher wie Women don’t owe you pretty können nicht zu viele geschrieben werden. Vor allem sollten wir unsere Erfahrungen teilen, über unsere Erlebnisse sprechen und sie nicht vor Scham verstecken.


Das Buch beinhaltet noch viel mehr: Sex, Dating, Break-Ups, Queerness, White Supremacy, Gewalt. Jedes Kapitel könnte alleine einen Blog-Post füllen. Daher empfehle ich, das Buch einfach selbst zu lesen und sich bei Gelegenheit mit einer Freundin, einem Freund darüber auszutauschen.


Über diese Buch gibt es eine Debatte in Bezug auf das Buch What a time to be alone von Chidera Eggerue. Auf diese möchte ich in meinem Post nicht eingehen. Wer gerne mehr darüber erfahren möchte: https://www.independent.co.uk/life-style/women/chidera-eggerue-florence-given-copy-book-instagram-b1769249.html


Übrigens habe ich das Buch nach unserer Ferienwoche fertig gelesen. Trotz dem fehlendem Vorlesen, nahm der Austausch darüber nicht ab. Es folgten viele Telefonate und Gespräche. Wütend machen mich diese Themen noch immer. Ich glaube man könnte stundenlang darüber sprechen und schreiben - aber dann will ich hier mal zu einem Ende kommen.


Tschäse&Bussi

Elena



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