Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins (1988) von Milan Kundera
Bist du schon einmal in einem Tal zwischen Bergen gestanden? Hast du dich dabei auch unglaublich klein und unbedeutend gefühlt? Während sich auf der Erdkugel ganze Kontinente bewegen, zu Alpen aufstapeln und sich anderswo neue Meere bilden, kann man sich schon mal seiner eigenen Unwichtigkeit bewusst werden.
Das Gefühl ist irgendwie leicht, weil es bedeutet, dass auch all die monumental scheinenden Probleme am Ende nicht so wichtig sind. Das Gefühl ist irgendwie unerträglich, weil es in Frage stellt, was denn überhaupt noch wichtig ist.
An dieses Gefühl, das mich oft überkommt, wenn ich in den Bergen bin, musste ich während der ersten Seiten von «die unerträgliche Leichtigkeit des Seins» von Milan Kundera denken. Der tschechische Autor bringt auf den Punkt, was für mich Entscheidungen oft so schwer macht: Wir haben nur eine Chance, nur eine Möglichkeit, diese eine Version unseres Lebens zu leben. Es gibt kein Retake, wir können nicht zuerst eine Skizze vorbereiten, nicht erst proben. Ist ein Spielzug gemacht, ist es geschehen.
Welchem Job gehen wir nach? Wen zählen wir zu unseren Freunden? Wohin reisen wir in die Ferien? Wir können uns vor Entscheidungen keine Trailer davon ansehen, wie unsere Leben in den jeweiligen Versionen aussehen würden. Es gilt, ins kalte Wasser zu springen, ein Risiko einzugehen, kurzum: zu leben.
Wie ich hadern auch die Protagonist*innen im Buch mit dieser Tatsache. Wie hätte ihr Leben ausgesehen, wenn sie sich anders entschieden hätten? Da wären zum einen der Chirurg Tomas und die Serviceangestellte Teresa, die in einer Beziehung leben, obwohl beide ziemlich andere Vorstellungen davon haben, was das bedeutet. Und zum anderen die Künstlerin Sabina und der Hochschullehrer Franz, die eine Affäre haben.
Kundera schildert die Leben der einzelnen mit feinen Beobachtungen, die mich begeistert haben. Zum Beispiel stellt er ein Wörterbuch der missverstandenen Wörter zusammen. Darin beschreibt er, wie zwei Menschen zwar ein und dieselbe Sprache sprechen, sogar exakt dieselben Worte nutzen und dennoch völlig aneinander vorbeireden können.
Kundera hat einen Roman mit vielen solchen Eigenheiten geschaffen. Die Erzählperson spricht den Leser oder die Leserin teilweise direkt an, legt sogar offen, dass die Menschen im Roman blosse Erfindungen sind. Was zuerst irritieren kann, macht das Buch zu dem was es ist: eine leichte und gleichzeitig tiefgreifende Geschichte über Menschen, die echt wirken trotzdem sie fiktiv sind.
Vermutlich ist die Erkenntnis, dass wir alle nur einmal leben und wir Entscheide nur einmal treffen können, für die meisten nichts Neues. Schon gar nicht seit «Yolo» 2012 zum deutschen Jugendwort des Jahres gekürt wurde. Trotzdem tat es mir gut, das wieder einmal erzählt zu bekommen: es gibt kein Richtig und kein Falsch. Es gibt ein Jetzt und in dem können wir leben.
Da der Roman zur Zeit des Kalten Krieges spielt, tauchen einige historische Ereignisse und politische Fakten in der Geschichte Kunderas auf. Im Nachwort habe ich jedoch gelesen, das der Autor wünscht, seinen Roman keinen «politischen» Roman zu nennen. Diesem Wunsch möchte ich gerne Nachkommen und das Buch als Roman empfehlen. Ich denke, dass es nur natürlich ist, dass die Zeit in der die Geschichte spielt und während der sie geschrieben wurde, die Erzählung beeinflusst. Für mich hat das den Roman noch realer wirken lassen.
Übrigens gibt es zum Buch auch eine amerikanische Verfilmung, die 1988 erschienen ist. Bis jetzt habe ich sie mir noch nicht angesehen. Soll ich das noch nachholen? Eine nächste Entscheidung, die auf mich wartet…
Tschäse und Bussi
Elena
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